Phänomen Parkruns :
Eine globale Bewegung

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Das Wetter ist egal: Auch der Mannheimer Parkrun findet jeden Samstag statt – ganz rechts Corina Knipper, die Dirk Arnold den Weg weist.
Jedes Wochenende treffen sich Läufer auf der ganzen Welt, immer zur gleichen Uhrzeit. Dabei soll es um mehr gehen als um Sport. Ein Besuch in Mannheim.

Ob man in Köln oder in Sydney ist, im kanadischen River Valley oder auf Cape Pembroke, dem östlichsten Punkt der Falklandinseln: Los geht es immer um Punkt neun Uhr jeden Samstag. Man kommt erst kurz vorher, quatscht noch ein bisschen, die Neuen werden eingewiesen. Egal ist auch, ob die Sonne strahlt oder Regen vorhergesagt ist, wie heute in Neckarau in Mannheim. Das Thermometer zeigt nur ein paar Grad. Tauwasser bedeckt die Wiesen des Waldparks, auf den Gehwegen ­haben sich große Pfützen gebildet. Ein Wetter, bei dem man samstagmorgens ­lieber ein paar Minuten länger unter der Bettdecke bliebe.

Trotzdem wird die Menschentraube am Parkrand immer größer, um kurz vor neun Uhr sind es fast 100 Menschen. Die Jüngsten sitzen im Kinderwagen, die Ältesten haben graue Haare oder schon überhaupt keine mehr. Manche sehen sportlich aus, manche so, als ob sie Leggings und Laufschuhe nur zum Spazieren trügen. Das macht nichts. Denn vor allem ist es egal, und das sagen sie hier alle, wer man ist und wie man aussieht.

Jeder kann vorbeikommen

Alle sind gekommen, um zusammen zu laufen, genau fünf Kilometer. Die Schnellsten werden dafür nur 18 Minuten brauchen, die Langsamsten werden sich für den Rundkurs im Park fast eine Stunde Zeit lassen. „Guten Morgen zum Neckarau Parkrun 243“, ruft Laufleiter Klaus Hopkins-Hahn. Bevor es losgeht, verteilt er ein paar Urkunden. Geehrt werden nicht die mit den besten Zeiten, sondern die mit den meisten Teilnahmen. Für alle, die zum ersten mal dabei sind, gibt es ­Applaus. Dann geht es an die Startlinie.

Laufleiter Klaus Hopkins-Hahn mit den letzten Anweisungen vorm Neckerau Parkrun 243.
Laufleiter Klaus Hopkins-Hahn mit den letzten Anweisungen vorm Neckerau Parkrun 243.Ben Kilb

In der ersten Reihe stehen Corina Knipper und Dirk Arnold. Beide halten jeweils ein Ende eines kurzen Seils in der Hand. Auf Knippers neongelbem Shirt steht „Guide“, auf Arnolds „Blind“. Sie kann sehen, er nicht. „Meine Frau hat hiervon in der Zeitung gelesen, dann habe ich mich gemeldet, und einer der Organisatoren war so nett, mich abzuholen“, sagt der 51 Jahre alte Arnold. Es ist sein 32. Lauf. Jedes Mal hole ihn einer der anderen Läufer zu Hause ab, jedes mal laufe einer mit ihm, verbunden durch das Seil. Heute ist es Knipper, aber: „Ich swinge“, sagt Arnold und lacht. „Wir teilen uns das auf, das ist ja das Tolle beim Parkrun, dass so viele dabei sind und ihn jeder mal begleiten kann“, sagt die 46 Jahre alte Knipper, die schon um die 130 Teilnahmen hinter sich hat. Dann, um neun Uhr, geht es los: „Drei, zwei, eins, Parkrun“, ruft Hopkins-Hahn. Zwei Ambitionierte preschen vor, Knipper und Arnold hinterher. Dann trabt allmählich der restliche Pulk los.

So ähnlich wie im Waldpark in Mannheim wird es an diesem Morgen auch in der Hasenheide in Berlin, in den Highbury Fields in London oder im Greenpoint Park in Kapstadt ausgesehen haben. Insgesamt haben an 2378 Orten auf der ganzen Welt Parkruns stattgefunden, knapp 300.000 Läufer haben teilgenommen. Das Konzept ist überall gleich: Jeder kann vorbeikommen und mitmachen, es gibt keine Voraussetzungen. Wer will, kann sich registrieren, seine Zeit stoppen lassen und seine Läufe in einer digitalen Statistik sammeln. Organisiert wird das alles von Freiwilligen. Weltweit haben sich mittlerweile fast neun Millionen Menschen registriert.

Fünf Kilometer, fast im Gleichschritt: Corina Knipper führt Dirk Arnolds Lauf mit einem roten Band.
Fünf Kilometer, fast im Gleichschritt: Corina Knipper führt Dirk Arnolds Lauf mit einem roten Band.Ben Kilb

Der erste Parkrun fand 2004 noch unter dem Namen Bushy Time Trial im Londoner Bushy Park statt. 13 Teilnehmer waren damals dabei. Der Gründer Paul Sinton-Hewitt litt unter einer Verletzung und hatte obendrein seinen Job verloren. Um den Kontakt zu seinen Lauffreunden nicht zu verlieren, organisierte er einen Lauf mit Zeitnahme und anschließendem Frühstück. Aus der Idee erwuchs eine weltweite Bewegung. Im Vereinigten Königreich gibt es mittlerweile mehr als 700 wöchentliche Läufe, an manchen nehmen mehr als 1000 Menschen teil.

Als Michelle Purse 2017 aus London mit ihrem Mann nach Mannheim zog, wollten sie sich ein bisschen Heimat bewahren. „Wir haben dann bei der Parkrun-Organisation angerufen und gefragt, ob es schon Parkruns in Deutschland gibt“, sagt die 47 Jahre alte Purse. Die Antwort war: Nein. „Ich habe sie gefragt, ob wir es hier starten können. Und genau das haben wir gemacht.“ Etwa ein halbes Jahr später fand der erste Lauf in Mannheim statt. „Wir waren uns nicht sicher, ob das hier funktioniert“, sagt Purse. Doch zum ersten Event seien mehr als 60 Läufer gekommen. „Und die Leute kamen einfach weiter.“

56 Parkruns in Deutschland

Abgesehen von ein paar Unterbrechungen während der Pandemie findet der Park­run in Mannheim seither jeden Samstagmorgen statt. „Wir haben ein paar ­talentierte Läufer, aber die unterstützen alle anderen und engagieren sich für die ganze Gruppe“, sagt Purse. Darum gehe es bei Parkrun, Gemeinschaft und Zusammenhalt stünden im Vordergrund. Nach jedem Lauf geht man gemeinsam frühstücken. Mit der Zeit seien tiefe Freundschaften entstanden, Beziehungen und: „Es gibt sogar schon ein paar Park­run-Babys.“

Mittlerweile finden wöchentliche Park­runs an 56 Orten in Deutschland statt. „Unser Ziel ist, dass es bald 300 bis 400 sind“, sagt Jakub Fedorowicz. Er ist einer der wenigen, deren Vollzeitjob es ist, Park­runs zu organisieren. Zusammen mit einem Kollegen ist er für Mitteleuropa zuständig. Wer hierzulande einen Parkrun starten will, meldet sich bei ihm. Etwa zwei neue Anfragen bekomme er jede ­Woche aus Deutschland, hier gebe es im Moment das größte Interesse.

Volunteering als Teil des Konzepts: ein vierbeiniger Teilnehmer studiert den Helferplan.
Volunteering als Teil des Konzepts: ein vierbeiniger Teilnehmer studiert den Helferplan.Ben Kilb

Die Voraussetzungen sind einfach: „Wir brauchen ein Team von Freiwilligen. Wir brauchen einen Fünf-Kilometer-Kurs, am besten in einem Park im Zentrum einer Stadt. Und zuletzt brauchen wir die ­Erlaubnis des Landbesitzers“, sagt Fedorowicz. Er hat selbst als Teilnehmer angefangen und mittlerweile Parkruns in 86 Städten absolviert. 2011 habe er den ersten Lauf in Polen mitorganisiert. Das Volunteering sei dabei mehr als Mittel zum Zweck: „Unsere Volunteers sind auch Teilnehmer. Viele kommen nur, um zu helfen und um das Gefühl zu bekommen, zur Gemeinschaft dazuzugehören.“ Parkrun sei kein Unternehmen, sondern eine Wohl­tätigkeitsorganisation. Neben Sponsorengeldern finanziert man sich in einigen Ländern auch durch staatliche Förderung. Man biete schließlich einen großen öffentlichen Mehrwert, sagt Fedorowicz. „Unsere Mission ist es, den Planeten glücklicher und gesünder zu machen.“

Kurz nach dem Zieleinlauf sieht man Corina Knipper und Dirk Arnold das Glück noch nicht an, beide sind ziemlich aus der Puste. „Wir haben anfangs ein bisschen überpaced“, sagt Knipper. Beim Zieleinlauf hat sie ein kleines Märkchen bekommen. Das gibt sie, zusammen mit dem Barcode, den jeder beim Registrieren ­bekommt, bei einem der Volunteers ab. Ein paar Sekunden später bekommt sie eine Mail mit ihrem Ergebnis. Seine Bestzeit liege bei 24 Minuten und 40 Sekunden, sagt Arnold. Heute sei er nicht sicher, ob er die 25 Minuten geknackt habe. „Leider nicht. 25 Minuten, 21 Sekunden“, sagt Knipper dann. Arnold zuckt mit den Schultern: „Ist egal. Das ist völlig egal.“